Gedankensplitter 2017

Dezember
Alles wird immer schlechter, jeder denkt nur an sich und niemand macht mehr etwas für umsonst. Diese Klage hören wir alle sehr oft und sie hat ja auch einen wahren Kern. Aber sind denn wirklich alle nur noch egoistisch und gleichgültig? Nein! Von zwei Beispielen will ich jetzt erzählen. Auf dem Weg zum Kirmesgottesdienst nach Craula bin ich mit dem Auto stecken geblieben. Die Kirmesgesellschaft saß wartend in der Kirche. Aber die Kirmes eröffnen ohne Gottesdienst? Das geht doch nicht! Und so ist Anna von der Kirmesgesellschaft kurzentschlossen nach vorn in den Altarraum getreten und hat begrüßt, geredet und gebetet und so die Kirmes eröffnet. Inzwischen hat die Craulaer Feuerwehr sich um mein Auto gekümmert. Und sie hat es freundlicherweise getan, ohne mir dafür eine Rechnung zu schreiben, wozu sie berechtigt gewesen wäre.
Zwei Beispiele von beherztem Eingreifen sowie einer Hilfe, die nicht umsonst, aber kostenfrei war. Neben meinem Dank dafür möchte ich ermutigen, nicht immer gleich gedankenlos in das Klagen mit einzustimmen. Stattdessen wahrzunehmen, was es doch auch an unzähligen Beispielen gibt, wie Menschen spontan, mutig und uneigennützig eingreifen. Es gibt sie, diese guten Erfahrungen. Wäre es nicht gut für uns, wir würden uns davon öfter inspirieren lassen?


November
Seit Jahren wird über ein bedingungsloses Grundeinkommen diskutiert. Gegner behaupten, dieses sprenge unser Sozialsystem und fördere die Faulheit arbeitsscheuer Menschen. Geld fürs Nichtstun auf Kosten anderer also, das geht doch nicht! Nun – ein Beispiel: Im Februar übernimmt ein Manager die Fluggesellschaft Air Berlin, die ein halbes Jahr später insolvent ist. Arbeitsplätze gehen verloren oder werden in schlechter bezahlte umgewandelt. Der Manager aber bekommt bis Anfang 2021 weiter sein Grundgehalt von fast
1 Million € pro Jahr, mit Bonus insgesamt 4,5 Millionen € fürs Nichtstun. Ein bedingungsloses Grundeinkommen, wenn auch pervertiert. Wer wohl schädigt unsere Sozialgemeinschaft?


Oktober (zum Bild unter diesem Gedankensplitter – Konfirmanden nach dem Einsammeln von Erntedankgaben für die Tafel in Bad Langensalza)
Vor ca. 7000 Jahren entstand der Text: „wenn du dem Hungrigen deine Seele darreichst, die gebeugte Seele des Armen sättigst – wenn du das tust, dann wird Jahwe deine Seele sättigen.“ Dahinter steht die bis heute gültige Erfahrung: dem anderen zu geben, was er nötig hat an Nahrung und Kleidung, an Aufmerksamkeit und Würdigung – hilft nicht nur dem anderen aus seiner Not, sondern tut auch selber gut. Wir Menschen sind auf Kommunikation und Kooperation angelegt, diese gehören zu unserem Wesen. Im Einklang zu leben mit den in uns angelegten Fähigkeiten und Gaben -mit Menschen, Tier, Natur, Umwelt- das garantierte im Lauf der menschlichen Entwicklung bis heute unser Leben. Unser „Überlebenskampf“ wird auch zukünftig nur dann erfolgreich sein und sinnlose Zerstörungen verhindern, wenn wir miteinander und nicht gegeneinander agieren.


September (zum Bild unter diesem Gedankensplitter – fotografiert zur Jubelkonfirmation in Craula)
Friedrich II. von Hohenstaufen wollte die Ursprache der Menschen finden. Er glaubte, sie entdecken zu können, wenn beobachtet werde, in welcher Sprache Kinder zu reden anfangen, mit denen niemand spricht. Und deshalb befahl er den Ammen und Pflegerinnen, sie sollen den Kindern Milch geben, sie baden und waschen, aber in keiner Weise mit ihnen schöntun und mit ihnen sprechen. Er wollte nämlich erforschen, ob sie die hebräische Sprache sprächen, als die älteste, oder Griechisch oder Latein oder Arabisch oder aber die Sprache ihrer Eltern, die sie geboren hatten. Aber er mühte sich vergebens, weil die Kinder alle starben. Denn sie vermöchten nicht zu leben ohne das Händepatschen und das fröhliche Gesichterschneiden und die Koseworte ihrer Ammen und Ernährerinnen.
Aus: Die Chronik des Franziskaners Salimbene von Parma (1221-1287/88


August
Mitte August wollte ich im Naturkostladen Eier kaufen. Aber sie waren dort seit einigen Tagen restlos ausverkauft. Ein neues Bewusstsein für Bioeier und wachsendes Interesse für eine tierfreundliche Haltung der Hühner? Leider nein! Der Grund für das Kaufinteresse war der Skandal um vergiftete Eier aus der industriellen Geflügelhaltung. Gut, dass es da diese Alternative gibt, die in „normalen“ Zeiten von nicht wenigen Menschen belächelt und abgetan wird. „In ca. vierzehn Tagen wird das aber vorbei sein“ meinte die Verkäuferin lakonisch. Ja, leider. Warum schrecken wir immer nur kurzzeitig auf, wenn unmittelbar eigener Schaden droht? Warum sind wir so gleichgültig gegenüber der Produktion von Lebensmitteln und der Tierhaltung? So wird der nächste Skandal nicht lange auf sich warten lassen….


Juli
Urlaubszeit – Zeit für all das, was im alltäglichen Leben zu kurz kommt. Urlaubszeit – Zeit auch zum Nichts-Tun-Müssen. Aber schaffen wir das? Neulich hatte ich ein Gespräch mit einem Menschen, der versucht, sehr bewusst zu leben. Er achtet sehr auf seine eigenen Bedürfnisse, zu denen auch körperliche Betätigung gehört. Erst vor kurzem fiel ihm auf, dass sein jahrelanges Joggen unter einem von ihm selbst gesetzten Anspruch stand. Noch schneller, noch länger, noch intensiver. Bei aller Genugtuung, die er empfand, kam ihm jetzt die Frage: wieso setzte ich mich so unter Druck? Offensichtlich merken wir nicht, wie sehr das Leistungsdenken unser ganzes Leben bestimmt, Freizeit und Urlaub eingeschlossen. Ist die Urlaubszeit als Zeit des Nichts-Tun-Müssen nicht eine Chance, darüber nachzusinnen? Müßiggang ist aller Liebe Anfang – dieses verwandelte Sprichwort verstehe ich dazu als freundliche und hilfreiche Anregung.


Juni
Das Bild unter diesem Gedankensplitter ist im Mai 2017 aufgenommen worden. Zu sehen sind die Bäume in der Behringer Hauptstraße in ihrer vollen Pracht. Fotografiert habe ich sie auf Anregung unseres Apothekers Wolfgang Zott. Mit dieser Aufnahme ist die Hoffnung verbunden, dass diese Bäume nicht zum letzten Mal so herrlich im Grün stehen. Und zu dieser Hoffnung gibt es berechtigten Grund. Es waren Einwohner unseres Ortes, die das Thema Bestand dieser ehrwürdigen Bäume trotz Bauarbeiten nicht losgelassen hat und die es geschafft haben, immer mehr Menschen dafür zu sensibilisieren. Eine endgültige Entscheidung über den Baumbestand steht noch aus. Aber die Erfahrung, dass es doch eine Vielzahl von Menschen gibt, die nicht nur schimpfen, sondern sich engagieren, stimmt doch hoffnungsvoll. Und vielleicht können wir ja im nächsten Jahr unter so ein Foto schreiben: Grün für noch ganz viele Jahre!


Mai
Frieden gibt es nicht gegen den andern, sondern nur mit ihm. Und Frieden wird hergestellt, indem einer den bedingungslosen ersten Schritt tut. Friedenspolitik ist die Politik des ersten Schrittes. Sie ist riskant, weil nicht sicher ist, ob der andere den entsprechenden Schritt tun wird. Die Ermutigung zu dieser Politik des ersten Schrittes braucht es deshalb jeden Tag auf´s neue
aus einer Rede des früheren Bischofs Werner Krusche


April
Was gibt meinem Leben Freude und Erfüllung? Darauf gibt es gewiss und zum Glück keine einheitliche Lösung! Jede(r) muss darauf eine eigene Antwort finden. Was aber könnte sich als persönlicher Maßstab eignen? Vielleicht das Gefühl, dass mein öffentliches Reden und Handeln auch mit dem überein stimmt, wie ich denke und fühle? Dies ist bestimmt nicht immer leicht, aber nur so werde ich locker und überzeugend auftreten können! Oder rede ich nur nach, was andere mir aufgetragen und vorgesagt haben? Der gewiss bequemere Weg, aber der für mich bessere? Ich werde unsicher und wenig überzeugend wirken, weil ich so meine Überzeugungen verleugnen muss! Was wird für mich als Mensch angenehmer und letztendlich erfolgreicher sein?


März
Wie angekündigt, haben wir diesmal den Weltgebetstag der Frauen kleiner und schlichter gefeiert als in den Jahren zuvor. Der Abend war also anders und dennoch sehr schön. Er war „ereignisärmer“, aber wir waren ganz dicht bei dem geblieben, worum es beim Weltgebetstag geht. Die vergangenen Jahre waren toll: das Essen, die Musik, das bunte Drumherum. Verbunden allerdings mit ganz viel Aufwand an Zeit und Mühe, der letztendlich zu viel geworden ist und nicht mehr zu leisten war. Und so kam uns an diesem Abend die Frage in den Sinn, ob das ganze Drumherum möglicherweise nicht das eigentliche Anliegen des WGT zu sehr in den Hintergrund rückt? Ist es vielleicht nicht sogar ein generelles Problem von uns heute, mit viel Geld, Mühe und Zeit alles super toll machen zu wollen, aber wir vor lauter Anstrengung am Ende erschöpft sind, auch weil es die ständige Steigerung an Attraktivität braucht? Und wächst damit nicht die Gefahr, aus den Augen zu verlieren, worum es uns im Grunde genommen geht? Im Leben, im Feiern, im Arbeiten, wobei auch immer?


Februar
Jedes Jahr am ersten Freitag im März erwartete die Behringer ein besonderes Ereignis – den Weltgebetstag der Frauen. Die Kirche in Wolfsbehringen, das Herrenhaus in Hütscheroda, das Bonhoeffer-Haus und zuletzt der Europasaal des Schlosshotels waren die Orte, an denen die Besucher ein abwechslungsreicher, informativer und zum Nachdenken anregender Abend erwartete. Jedes Jahr wurden es mehr Menschen, die dabei sein wollten. Hinter diesem Erfolg stand ein kleiner Kreis von Frauen unseres Ortes, die spätestens ab Anfang Januar in vielen Treffen zusammen kamen. Ihrer Mühe, Phantasie, der Bereitschaft, auch viel Zeit aufzuwenden, verdanken wir die vielen schönen Abende – die Fotos unter http://www.kirche-behringen.de/fotos_gemeindeleben/wgt/hauptseite_wgt.htm zeigen dies sehr eindrücklich. Nun schaffen es die Frauen nicht mehr, diesen enormen Aufwand zu leisten Vielen Dank an Euch für die vielen tollen Abende für unseren Ort, die es ohne Euch nicht gegeben hätte!


Januar
Abwarten? Tun! (von Erich Kästner)
Rundheraus: das alte Jahr war keine ausgesprochene Postkartenschönheit, beileibe nicht. Und das neue? Wir wollen‘s abwarten. Wollen wir‘s abwarten? Nein. Wir wollen es nicht abwarten! Wir wollen nicht auf gut Glück und auf gut Wetter warten, nicht auf den Zufall und den Himmel harren, nicht auf die politische Konstellation und die historische Entwicklung hoffen, nicht auf die Weisheit der Regierungen, die Intelligenz der Parteivorstände und die Unfehlbarkeit aller übrigen Büros. Wenn Millionen Menschen nicht nur neben-, sondern miteinander leben wollen, kommt es auf das Verhalten der Millionen, kommt es auf jeden und jede an, nicht auf die Instanzen. Wenn Unrecht geschieht, wenn Not herrscht, wenn Dummheit waltet, wenn Hass gesät wird, wenn Muckertum sich breit macht, wenn Hilfe verweigert wird – stets ist jeder Einzelne zur Abhilfe mit aufgerufen, nicht nur die jeweils „zuständige“ Stelle. Jeder ist mitverantwortlich für das, was geschieht, und für das, was unterbleibt. Und jeder von uns und euch muss es spüren, wann die Mitverantwortung neben ihn tritt und schweigend wartet. Wartet, dass er handele, helfe, spreche, sich weigere oder empöre, je nachdem. So wünsche ich euch allen, dass im neuen Jahr nicht das Abwarten im Vordergrund steht, sondern das Tun. Alles Gute!