Gedankenspitter 2018

September
Seit 2013 habe ich an dieser Stelle geschrieben, was mir aus aktuellem Anlass wichtig war. Sehr gefreut habe ich mich über die vielen positiven Rückmeldungen, darunter auch von vielen Menschen, die nicht der Kirche angehören. Der Grundgedanke mit der Benennung Gedankensplitter war ein doppelter: ein Anliegen kurz und knapp so zu formulieren, dass es wirklich hängenbleibt. Ganz sicher haben diese Gedanken nicht sofort erkennbar unser Denken verändert. Das war auch nie meine Absicht und wäre auch eine völlige Überforderung gewesen, schließlich war dies immer „nur“ ein Splitter und kein Brett! Aber: wenn viele kleine Menschen viele kleine Schritte gehen, werden sie das Antlitz der Welt verbessern. Ich meine, dies betrifft auch viele kleine Gedanken, die ja jedem Schritt vorangehen müssen. Ich wünsche uns allen viele solcher kleiner Schritte für eine gute Zukunft.


August

Welt des Betons

Wann berühren wir denn wirklich noch Erde?
Wissen wir noch, wie Sumpfgras nach dem Regen riecht?
Wie offenes Land sich unbebaut dem See nähert?

Gewinnen wir doch wieder das alte Offen-Sein
Agieren wir auch mal gegen so manchen
»Flächennutzungsplan«
Und hundertfache Versiegelungen unseres Bodens.

Dann berührt uns die Natur endlich wieder –
Weit über knapp kalkulierte Urlaubswochen
im Abenteuer-Land hinaus.

© Hellmut Bölling


Juli
„Die Bürokratie ist eine der großen Feinde unserer Demokratie“. So sagt es ein bedeutender Wissenschaftler unseres Landes. Er meint damit eine Bürokratie, der es nicht so sehr um ein verlässliches Miteinander geht, sondern die um ihrer selbst willen existiert. Vertreter solcher Bürokratie machen sich im günstigen Fall lächerlich. Dabei akzeptieren und achten die meisten Menschen Regeln für das Zusammenleben. Aber das Gefühl, dass die Ordnung über den Menschen steht und so drangsaliert zu werden, entwürdigt und gefährdet die Bereitschaft, sich zu engagieren – ob im privaten, im kommunalen, im staatlichen Bereich.


Juni
„Alles auf unserem Planeten ist miteinander vernetzt und hat miteinander zu tun“. Eine moderne Erkenntnis, für deren Bedeutung wir kein (Sinnes)Organ haben. Wir nehmen immer nur Teilstücke wahr, geprägt von dem, mit dem wir unmittelbar zu tun haben. Je nachdem, ob ich zB. bei der Polizei, im Krankenhaus, als Erzieher, Manager, Gewerkschafter tätig bin, zu welchem Industriebereich mein Arbeitsplatz gehört, welche Freizeitinteressen ich habe, wer zu meinem Bekanntenkreis gehört – all das bestimmt meine Sicht auf die Welt. Bis vor wenigen Jahrzehnten war dies in vielen Lebensbereichen nicht weiter problematisch. Die exponentielle wirtschaftliche, technische und digitale Entwicklung weltweit in den letzten Jahren hat dies umfassend geändert. Unser Tun (oder auch Nichtstun!) hat heute Auswirkungen in viele Bereiche hinein, die wir oft nicht sofort spüren und sehen. Aber wir wirken mit unseren modernen Fähigkeiten weit über das persönlich Überschaubare hinaus. Eine riesige Herausforderung für uns!


Mai
Es tut uns so gut, im Wald zu sein! Viele Gründe dafür kennen wir. Neulich habe ich zum ersten Mal von einer 30 Jahre alten Studie gelesen. Eine Anzahl Patienten wurde mit der gleichen Methode operiert und völlig identisch behandelt. Es gab nur einen einzigen Unterschied: einige Patienten schauten aus dem Fenster auf einen Baum, die anderen auf eine Hausmauer. Die „Baumgruppe“ konnte schneller nach Hause und brauchte deutlich weniger Schmerzmittel als die „Wandgruppe“. Weitere Studien erbrachten später den Nachweis, dass nicht allein die Freude über die Schönheit der Natur heilsam ist. Pflanzen und Bäume kommunizieren miteinander über chemische Botenstoffe, die sich in der Luft befinden. Diese Vielzahl an bioaktiven Substanzen aus der Pflanzenwelt dienen auch unserem Organismus, um gesund zu bleiben. Wir Menschen als Teil des uralten Netzwerkes Leben sollten diese mit Freude genießen.


April
Endlich ist Frühling, die Tage werden wieder wärmer und länger, die Natur erwacht und erfreut uns mit ihrer Pracht! – Was, schon ist mehr als ein viertel Jahr vergangen, die Zeit rast aber auch! Zwei unterschiedliche Wahrnehmungen der vergehenden Zeit. Dabei ist diese zB. in Stunden gemessen immer gleich lang – vom 1.1. bis 30.4. sind es genau 2880 Stunden. Aber die persönlich empfundene Lebenszeit lässt sich nicht objektiv messen. Ob sie rast oder schleicht hängt immer von der eigenen Wahrnehmung ab und worauf ich meine Achtsamkeit lege. Ich selber habe es also immer auch mit in meiner Hand, wie „schnell meine Zeit vergeht“. Im Sprichwort „jeder ist seines Glückes Schmied“ spiegelt sich diese Erfahrung wieder. Natürlich nicht absolut, es bleiben immer Sachzwänge, denen ich nicht entgehen kann. Aber es bleibt doch für jeden Freiheit zur eigenen Gestaltung und meist mehr, als ich mir zugestehe. Ich muss diesen Freiraum nur sehen und den Mut haben, ihn auch zu nutzen. Meine Lebenszeit ist mein kostbarestes Gut. Gehe ich ausreichend sorgsam damit um?


März

Nicht aufzuhalten
Dieses verrückte Kind
das losrennt das Leben zu umarmen
das hinfällt aufsteht und weiterläuft mit zerschlagenen Knien
Dieses verrückte Kind das Hoffnung heißt
an Liebe glaubt

Anne Steinwart


Februar
Die alten Fichten im Kirchgarten sind nun Opfer des letzten Sturmes geworden. Die Reaktion vieler Menschen darauf: prophylaktisch so schnell als möglich alle Bäume fällen, wenn sie nicht gerade weitab in freier Natur stehen. So sollen mögliche Gefahren beseitigt werden, die von Bäumen ausgehen könnten. Für mich eine sehr erschreckende Reaktion! Denn geht nicht die eigentliche Gefahr von unserer zerstörerischen Lebensweise aus? Gemeinsam sollten wir uns fragen, warum wir versuchen, dieser Erkenntnis auszuweichen. Wollen wir nicht alle in sicheren Verhältnissen leben? Ist eine intakte Umwelt nicht eine notwendige Bedingung dafür und haben Bäume dabei nicht eine große Bedeutung?


Januar
Was entscheidet mit darüber, wie alt wir werden? Viele Faktoren spielen dabei eine Rolle, manchmal völlig unerwartete. So entwickelt sich ie Lebenserwartung in allen Gesellschaften zB. nicht etwa entgegengesetzt zum Körpergewicht, wie viele Menschen vermuten, sondern parallel zum gesellschaftlichen Wohlstand. In Deutschland beträgt der Abstand in der Lebenserwartung bei den Männern zwischen Arm und Reich elf Jahre. Gesundheitskampagnen, wie sie immer wieder auch in unserem Land gefordert werden, dürften daran also nur wenig ändern. Mehr soziale Sicherheit und weniger materielle Ungleichheit hingegen schon, denn Länder mit vergleichsweise geringerer sozialer Ungleichheit weisen auch geringere Unterschiede in der Lebenserwartung zwischen den Sozialschichten auf. Im Buch „Gleichheit ist Glück“ haben 2 Autoren dies eindrücklich aufgezeigt. Gesundheit und Lebenserwartung als Indikatoren für soziale Gerechtigkeit. Der große Unterschied in der Lebenserwartung ist kein schmeichelhaftes Urteil über unser Land. Aber: dies ließe sich ja ändern. Wenn wir es denn wollten.